Und dann ging doch alles ziemlich schnell. Ich hatte an irgendeinem anderen Ende meines Lebens etwas Geld abgeknappst und die ISBN war endlich da und ich ging wieder ins Elsterbuch.
In den letzten Wochen saß ich in den dünnen, freien Stunden nachts am Küchenlaptop und ging diese 736 neu zu setzenden Seiten der finalen Fassung von „Frau Elster und der eingestickte Wal“ durch. Ich korrigierte die bisher übersehenen fehlenden, verdrehten oder sonstwie falschen Buchstaben, ging manuell jede Texttrennung durch, insgesamt hunderte, tickerte mich so abermals durch den gesamten Text, diese ersten 100 Tage meiner Trauer – und war damit wieder drin in dieser Zeit damals. Und war wieder sehr froh – trotz dieses unglaublichen Verlustes – im Text ihn nicht verlieren zu können: meinen im vorletzten Sommer gestorbenen Sohn. Die Trauer war seither schon wieder mehrmals anders geworden, ich lebte mittlerweile anderthalb Jahre ohne ihn, es hatte sich auch sonst einiges getan und irgendwie kam jetzt einiges zusammen und die Schutthaufen und Baustellen in meinem Leben ergaben ein insgesamt irgendwie anschaubares, vielleicht sogar aushaltbares Diorama meines Daseins. Das war auch so wieder so eine schrille Powerphrase und statt sie mir selbst zu verbieten, donnerte ich sie einfach in den Text, so wie ich es in den über fünfhundert Einträgen im Elsterbuch – denn das war ja der eigentliche Powertext – auch immer gemacht hatte. Ich hatte alles hingedonnert, hingeschrieben, rausgetrauerpowert. Und irgendwie hatte all dieses weite Geschweife darin einen Kern und dieser Kern war mein Leben und ich war spätestens seit seinem Tod kein Mensch mehr, der sich irgendwas verbietet.
Bei alldem blieben zwar einige dieser Nach-Elster-Texte, wie sie sich ja seit dem Sommer aus mir rausgeworfen hatten, auf der Strecke – über den Mann vom Hauptzollamt, der hier letztens vor der Tür stand, über das Trauergraffiti in der Straße, den traurigen Stoffelefanten im Hauseingang, über Trauergesichter und andere Geschichten – aber das war okay. Denn ich war fast fertig mit der finalen Ausgabe des Elsterbuchs, hatte jüngst ein sehr angenehmes Interview mit der örtlichen Großzeitung und es war toll, mit dem Journalisten im vom Herbst schon ziemlich kalten Caféinnenhof zu sitzen und über den ganzen Scheiß zu reden: unser Drama, mein Leben, das Buch. Es machte irgendwie Sinn. Bei aller Sinnlosigkeit, die sein Tod schlichtweg war, war es jetzt wieder ganz oben im Strom meiner mich tragenden – auch dieses Wort ging gleich überschwänglich kursiv in mir rum – Gefühlsgewühle: es ist gut, dass das Buch da ist.
Und auch der Artikel über das Buch war gut, und es war irre, dass sofort so viele Vorbestellungen eintrudelten, obwohl das finale Buch noch nicht mal aus dem Druck gekommen war. Ich hatte kurz Sorge, dass gleich wieder alles zerfranst, schrieb viele Mails und bat um Geduld und platzte fast, wie ein Kind, vor Ungeduld auf die endlich hier eintreffenden neuen Bücher.
Also war eigentlich alles ganz gut jetzt. Die Ungeduld war hier eher eine ausgelassene Art der Aufregung. Ich musste nur ein paar kleine, leider auch bürokratische Sachen noch schaffen, dann wäre das Buch endlich richtig in der Welt. Aber erstmal waren wir an den Strand gefahren, ließen Drachen flattern, dümpelten durchs Fischerdorf, der Oktober war jetzt binsengerecht wirklich golden geworden und abends aßen wir Brote vorm Fernseher.
„Frau Elster und der eingestickte Wal“ erscheint am 17.11.2023 mit der ISBN 978-3-00-077228-3. Die Ostsee-Zeitung hat in der Wochenendausgabe vom 28./29.10.2023 in einem großen Artikel darüber berichtet. Das Buch ist ab Releasedatum im Buchhandel bestellbar und kann bereits jetzt per E-Mail an info@kranundweuke.de vorbestellt werden.